
Feminismus geht uns alle etwas an. Bildquelle
Als ich klein war, sang mir meine Mutter, eine aktive Gewerkschafterin, oft das Lied „Brot und Rosen“ vor. Es stammt aus der amerikanischen Arbeiter- und Frauenbewegung und fordert, die Reduzierung von Frauen auf ihre Arbeitskraft und ihre Geschlechtsorgane zu stoppen. Ich hatte das Lied lange fast vergessen, bis ich letzten Winter den Film „Pride“ sah, in dem es um streikende Bergarbeiter und schwul-lesbische Aktivist*innen geht (und der wirklich wärmstens zu empfehlen ist). Gegen Ende des Filmes gibt es eine Szene in einem streikenden walisischen Bergarbeiterdorf: die ganze Gemeinde versammelt sich im Pub und diskutiert, ob man den Streik nicht brechen müsste. Plötzlich beginnt eine Frau, „Bread and Roses“ zu singen, und nach und nach stimmt das ganze Dorf ein. Wäre das Kino nicht voll gewesen, ich hätte mitgesungen. Heute ist Weltfrauentag. Und ich mache mir wieder Gedanken über die Bedeutung des Liedes. Eine kleine Geschichte meines persönlichen Feminismus.
Mit fünf beschloss ich, dass ich gegen die Farbe rosa allergisch sei. Meine Barbiepuppen-Phase hatte früher und schneller begonnen als die der anderen Mädchen, und umso abrupter und extremer endete sie, als ich eines Tages alle rosafarbenen, pinken und violetten Gegenstände aus meinem Zimmer entfernte und erklärte, ich würde sie nie wieder anfassen. Worin ich sehr konsequent war. Meine letzte Barbie verkaufte ich für 50 ct auf dem Flohmarkt, um sie endlich loszuwerden. Inklusive Kleid und Barbie-Ständer. Der Barbie-Ständer war Barbie-pink und hinderte die Barbiepuppe daran, umzufallen, weil sie nämlich auf ihren Barbie-Beinen von allein nicht stehen konnte. Außerdem war er überaus hässlich. Ich wollte keinen Barbie-Ständer brauchen. Ich wollte kein rosa-Mädchen sein.
In der dritten Klasse entdeckte ich geschlechtergerechte Sprache für mich. Im Klassenparlament setzte ich durch, dass es nicht „Schüler“, sondern „Schülerinnen und Schüler“ und nicht „jeder“, sondern „alle“ heißt. Sehr zur Verärgerung des – vorwiegend weiblichen – Lehrer*innen-Kollegiums. Ich wollte eine Schülerin sein, und zwar keine Unsichtbare.
Mit der Pubertät entwickelte ich eine Vorliebe für Eyeliner, Schnürstiefel und Skinny Jeans. Es war mir wichtig, zu zeigen, dass ich mich nicht schminkte, um Jungs zu gefallen, sondern, um meinen Style auszudrücken. Dass sich alle Mädchen plötzlich zur Begrüßung umarmten, fand ich irgendwie komisch. Ich las mit meinen Freundinnen die Foto-Lovestorys in der BRAVO und wir lachten uns darüber kaputt, wie klischeebeladen alle Figuren waren und wie witzig es gewesen wäre, wenn man die Geschlechter darin umgedreht hätte. Ich spielte in einem Theaterstück mit, das jedes Geschlechterklischee der Welt verdrehte, und ich war stolz darauf, in diesem Stück sowohl einen Laborkittel als auch ein Glitzerkleid zu tragen. Als mein Ethiklehrer mein Lieblingsmärchen als „ein totales Jungs-Märchen“ bezeichnete, ärgerte ich mich ein bisschen. In meinem Blog zog ich die „Ich bin keine Feministin“-Kampagne der Jungen AfD durch den Kakao. Ich schrieb eine Kurzgeschichte für eine Anthologie über „Mädchenbilder“, sollte dafür einen Kommentar zum Thema „Gender“ abgeben und stellte mir zum ersten Mal die Frage, ob ich Feministin sei. Ich war mir nicht ganz sicher.
Vor einer Weile wurde mir dieselbe Frage gestellt, und ich wusste, dass ich mit „Ja klar“ die richtige Antwort gab. Auch wenn mir nicht ganz klar war, wie die Fragestellerin zu der Annahme kam („Du hast Springerstiefel an und bist nicht kuschelbedürftig.“), war das keine Frage, der ich ausgewichen wäre. Ich bin Feministin.
Ich bin keine Männer-sind-doof-Feministin. Ich bin auch keine Wer-mir-die-Tür-aufhält-ist-ein-Sexist-Feministin. Ich bin Wie-doof-du-bist-hat-weniger-mit-deinem-Geschlecht-als-mit-deiner-Einstellung-zu-tun-und-ob-du-mir-die-Tür-aufhälst-sollte-eine-Frage-der-Höflichkeit-und-keine-Frage-des-Geschlechts-sein-Feministin und Weg-mit-dem-Patriarchat-und-der-Gender-Pay-Gap-Feministin. Ich bin eine Keine-Frau-ist-schuld-wenn-sie-vergewaltigt-wird-Feministin und Mädchen-dürfen-heulen-und-Jungs-auch-Feministin.
Ich bin kein Fan der beschlossenen 30%-Frauenquote für Aufsichtsräte, weil ich fürchte, dass sich die Politik darauf ausruhen und das wahre Problem vernachlässigen wird, nämlich den mangelnden Respekt, der es Frauen schwer macht, überhaupt erst in solche Positionen aufzusteigen. Ich glaube auch, dass die Quote das Betriebsklima massiv verschlechtern wird, weil jede Frau in einer Führungsposition verdächtigt werden wird, nur die „Quotenfrau“ zu sein. Ich bin für anonyme Bewerbungsverfahren und Wickeltische in Männertoiletten. Ich bin gegen „Social Freezing“, was weiblichen Führungskräften ermöglichen soll, ihre Eizellen einzufrieren, um Kinderwunsch hinter Karriere zu stellen, weil damit impliziert wird, Kinder zu bekommen sein nur ein Karriereschnitt für Frauen, nicht aber für Männer, und Männer hätten keine Verantwortung und keinen Aufwand für ihre Familie.
Ich trage mittlerweile wieder gern pink. Ich finde Barbie immer noch doof und geschlechtergerechte Sprache wichtig. Ich bin immer noch Feministin und es wohl immer gewesen. Und für mich ist das keine „Ideologie“, sondern selbstverständlich.
Solidarische Grüße, Brot und Rosen zum Weltfrauentag!
Kim
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Herrenschokolade echt lecker ist.